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Nur die Kugel bleibt in der Pistole

Rauschendes Fest mit Lesern im Speicher zum 50-jährigen Bestehen der Stadtbibliothek

bibo Leer. Nur ein Nierentisch fehlte auf der Bühne des Kulturspeichers. Das übrige Ambiente war perfekt im Stil der 50er Jahre: Musiktruhe, Stehlampe mit Rüschenrockschirm und die unvermeidlichen Nelken samt Schleierkraut, in eine zylindrische Vase gepresst. Nicht zu vergessen: das lebende Inventar: Adrett im Stil der Zeit kostümierte und frisierte Männer und Frauen – weißes Perlenkettchen auf kleinem Schwarzen – bewegten sich lässig in der Kulisse, die von Schülern des Teletta-Groß-Gymnasiums und des Ubbo-Emmius-Gymnasiums arrangiert worden war. Und das mehr als anderthalb Stunden lang.

Foto der Aufführung

Zeit, die im Flug verging und der Feier einer Leeraner Institution galt: der Stadtbibliothek, Anziehungspunkt für Leser guter Unterhaltung, Wissbegierige, geistige Wanderer zwischen den Kulturen, für Freunde anspruchsvoller Videos und Fans eines guten Literaturfrühstücks. Zum 50. Geburtstag gratulierten alle, die in der Leeraner Kultur- und Politikszene Rang und Namen haben. Hunderte Leser waren der Einladung gefolgt und drängten sich im Kulturspeicher, um das Festprogramm zu verfolgen. Zur Begrüßung stimmte der VHS-Chor den „Kriminal-Tango“ an. Das Einzige, was bei dieser Darbietung stecken blieb, war ein Schuss in der Pistole, die die Chorleiterin effektvoll abfeuern wollte.

Danach schnurrte das Programm reibungslos ab. Antje Hamer-Hümmling, Leiterin der Stadtbibliothek, hieß die Gäste herzlich willkommen, insbesondere Catharina Steffens, die „Frau der ersten Stunde“, die 1952 die Leitung der Stadtbibliothek übernahm. Dieser Bibliothekarin der frühen Jahre huldigte auch der Schriftsteller Jochen Schimmang in seinem Essay, den er anlässlich des Festaktes geschrieben hatte und bei der Feier vortrug.

Die Stadtbücherei sei für ihn, den damals Elfjährigen, ein Ort des Glücks gewesen, ein Schutzraum, der aber auch einen Schlüssel zur Welt lieferte. Im Alter von 14 oder 15 habe er sich der Lektüre der Weltliteratur zugewandt, sinnierte der Autor und rief die Vorstellung wach, wie er sich gemeinsam mit Marcel Proust auf die Suche nach der verloren Zeit begeben habe. Auf historischen Spuren sind die Schüler der beiden Gymnasien gewandelt: Sie haben unter Leitung der Kunstlehrerin Kerstin Harjes nicht nur das Wohnzimmer nachgebaut, sondern auch eine zeitbezogene Collage zusammengestellt. Es fehlte weder der Hinweis auf den Skandal, den der Knef-Film „Die Sünderin“ 1950 auslöste, noch die propagandistische Meldung über saubere Atomenergie, die bald die Energieversorgung sicher stellen würde.

Über Heinz Erhardt lachte die Nation in dieser Zeit. Dafür dass diese Scherze auch im Speicher die Lachmuskeln reizten, sorgten Wulf Espeloer und Remco Berents vom Zollhaus-Ensemble.

Kulinarischer Abschluss waren die Schnittchen und Häppchen, die Reiner Lünemann, Wirt des „Kulturspeichers“, zubereitet hatte.

Aus der Ostfriesen-Zeitung vom 9. November 2002

2007-03-07, ht