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Sie sind hier: Startseite Archiv 2010/11 1. Halbjahr Der Wecker vom 07.11.2010
Von Edgar Behrendt
Isabella van Ohlen (v. l.), Anna Schmidt, Lehrerin Claudia Lax, Eske Hilbrands, Tim Wilken, Lina Ehmen, Miriam Wiemer und Anna Tiethen haben einen Teil der Ausstellung erarbeitet.
LEER. Nahezu zwei Jahre lang haben sich acht Schüler der jetzigen Klassen 6a und 9a des Teletta-Groß-Gymnasiums (TGG) in der Arbeitsgemeinschaft (AG) „Eine Blume namens Heimat“ auf Spurensuche begeben. Im Stadtarchiv, in Büchern und im Internet sammelten die Jugendlichen Informationen über ein jüdisches Mädchen namens Liesel Aussen (Infokasten unten). Die Ergebnisse der Recherche werden am Dienstag aus Anlass der Gedenkveranstaltung (17.30 Uhr) zur Pogromnacht 1938 erstmals im TGG gezeigt und können bis zum 23. November besichtigt werden. Die Ausstellung dreht sich um Liesel Aussen, aber auch um einen anderen Leeraner Juden, der den Holocaust überlebt hatte: Karl Polak. Mit seinem Leben haben sich 16 Schüler eines Seminarfaches der TGG-Oberstufe beschäftigt.
Die AG-Schüler haben ein besonderes Schaubild gebastelt, das Einblicke in das kurze Leben von Liesel Aussen gibt. In dessen Mitte befindet sich eine Straßenkarte aus den 30er Jahren. An verschiedenen Stellen im Stadtgebiet leuchten auf dieser Karte Lämpchen auf. Sie markieren Standorte, die für das Mädchen und andere Juden aus Leer eine besondere Bedeutung hatten. Neben ihrem Wohnhaus an der Rathausstraße sind das unter anderem die damalige Synagoge, jüdische Geschäfte und ein Freibad, das jüdische Mitbürger nicht betreten durften. Es befand sich in der Nähe der heutigen Polizeiinspektion an der Georgstraße.
Zu sehen sind zudem Tagebucheinträge, Briefe, die Geburtsanzeige, zwei Gedichte aus den Reihen der AG und ein überdimensionales Foto von Liesel Aussen, das erst kürzlich aufgetaucht ist (der „Wecker“ berichtete). Jahrzehntelang hatte niemand eine Vorstellung, wie das Mädchen ausgesehen hat, bis dessen Großcousin aus den Niederlanden nach Leer zu Besuch kam und ein Bild von Liesel zur Verfügung stellte, das sie mit einer Schleife im Haar zeigt.
„Sie sah süß aus“, meint AG-Mitglied Eske Hilbrands. Die 14-Jährige empfand die Recherche als „interessant, aber auch schockierend“. „Ich hoffe, dass sich viele für unsere Arbeit interessieren werden und sich nicht nur die Fotos anschauen“, sagt Lina Ehmen. Die Elfjährige ist sicher, dass viele Menschen wissen möchten, was damals in Leer vor sich ging. Zur Gedenkveranstaltung am Dienstag bekommen die TGG-Schüler musikalische Unterstützung aus den Niederlanden. Morgen reisen 23 Schüler des Amsterdamer Balaeus-Gymnasiums an – und bleiben für drei Tage. Die 15- bis 18-Jährigen spielen jüdische Musik – und werden den Nachmittag nutzen, um das Programm mit Gedichten, Vorträgen und Musikbeiträgen für Dienstag mit den deutschen Schülern einzustudieren.
Was die Ausstellung angeht, so haben diejenigen, die nicht die Möglichkeit haben, sie im TGG zu besichtigen, im Mai 2011 eine weitere Gelegenheit dazu. Im Rahmen einer jüdischen Woche soll sie Teil des Projekts sein.
Liesel Aussen lebte von ihrer Geburt (Mai 1936) bis zum Mai 1938 in
Leer. Dann flüchtete sie mit ihrer Familie in die Niederlande.
Im Alter von sieben Jahren wurde Liesel Aussen im Konzentrationslager
Sobibor (Polen) ermordet.
Aus dem Wecker vom 7. November 2010, S. 7 / Foto oben: Behrendt
2010-11-22, jb