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Von Heiko Abbas
Im Kunstunterricht ging es um Architektur. Anna (links) und Maike (zweite von links) hatten zusammen ein Modell für ein Studentenwohnheim entwickelt. Ben (rechts) hatte seine Idee schon vorgetragen. OZ-Volontär Heiko Abbas (zweiter von rechts) musste ziemlich viel mitschreiben.
LEER - Etwas mulmig fühle ich mich schon, als ich am Mittwochmorgen auf dem Flur des Teletta-Groß-Gymnasiums (TGG) in Leer stehe. Gleich ist Kunst. Und da war ich schon immer schlecht.
Als der Raum aufgeschlossen wird, staune ich ganz schön. Lauter Computer und eine Leinwand samt Beamer gibt es dort. „Heute stellen wir die Abschlusszeichnungen für das Studentenwohnheim vor“, sagt die Kunstlehrerin der 10a, Kerstin Harjes. Die Schüler holen ihre Skizzen und USB-Sticks aus den Taschen. „Das soll Kunstunterricht sein?“, frage ich Ben. Er und Aenne bilden eine Arbeitsgruppe, ich gehöre jetzt dazu und habe keinen blassen Schimmer, worum es geht. „Wir mussten am Rechner 3D-Skizzen von einem Wohnheim anfertigen“, erklärt Ben. „Das gab es in meiner zehnten Klasse nie“, denke ich. Obwohl ich nur knapp zehn Jahre älter bin als Ben, fühle ich mich wie ein Dinosaurier zwischen all den Zehntklässlern.
Ganz schön aufpassen musste OZ-Volontär Heiko Abbas im Unterricht der 10a des TGG in Leer.
Während die Gruppen ihre Projekte vorstellen, erklärt Ben die Klasse. Nina ist „voll die fleißige“, Kai der Schlaueste und offenbar Fan von Metal-Musik. Die Coolen sind aber ganz klar Anna, Ineke, Aenne, Maike, Joris, Jakob und er selbst „natürlich“.
Nach 90 Minuten Kunst- oder vielmehr Architekturunterricht geht es in die erste große Pause. Erster Anlaufpunkt ist die Mensa. „Hier gibt es Snacks und mittags ein Buffet,“, erklärt Ben, „ist genießbar.“ In den 25 Minuten Pause geht es bei ihm und seinen Mitschülern aber um wichtigeres als Essen. „Wer ist heute Abend dabei?“ fragt Joris in die Runde. Es geht um eine Geburtstagsparty. Die Mädchen der Clique sind unschlüssig. „Ihr kommt auch. So!“, versucht Ben sie aus der Reserve zu locken. Es klappt nicht, das Thema wird vertagt. Klingeln. In der dritten und vierten Stunde gibt es Erdkunde mit Gisela Köneke.
„Heute beginnen wir ein neues Thema“, sagt die Lehrerin. Ich atme auf, diesmal kann ich direkt mitmachen. „Es geht um Wind“, fährt sie fort. Dann zeichnet sie Land und Wasser an ein Smartboard – eine elektronische Tafel. Wie von Zauberhand kann man verschiedene Farben, Schriftgrößen und Formen an die Wand malen, projiziert von einem Beamer. „So ein Ding hatten wir damals nicht“, flüstere ich meinem Sitznachbarn Jan zu. „Echt? Wie alt bist du eigentlich?“, fragt er. Das gibt mir zu denken, meine zehnte Klasse ist neun Jahre her. Seither hat sich viel geändert.
Manches bleibt aber immer gleich: Schüler, die die Hausaufgaben nicht rechtzeitig fertig haben. Die Schüler in der Reihe vor mir schreiben die Deutschhausaufgaben ab. Deutsch beginnt in der fünften Stunde.
Im Unterricht geht es in der Zwischenzeit um Tief- und Hochdruck. Ben will lautstark die Windrichtung ans Smartboard zeichnen. Nach einigen Minuten lässt Lehrerin Köneke ihn. „Er ist bei uns der Klassenclown“, flüstert mir Ann-Kathrin zu. „Ann-Kathrin, Heiko, hört auf zu reden“, werden wir ermahnt. Jetzt fühlt es sich an wie in meiner Zehnten.
Als am Ende der Stunde die Hausaufgaben verteilt werden, klingelt es. Endlich wieder Pause, ich habe auch schon Hunger. In der Mensa ist es unglaublich laut. „Früher war es leiser“, denke ich. „Vielleicht warst du auch einfach jünger?“, frage ich mich dann aber selbst. Bei Joris, Aenne und den anderen geht es hingegen immer noch um den Geburtstag und den Frühtanz in Tange.
Nach dem Pausenklingeln geht es mit Deutsch weiter. Textanalyse. Das kenne ich noch. Hier gibt es keine Computer oder Smartboards, nur altmodische, ja, fast altertümliche Bücher. In Gruppenarbeit sollen die Schüler verschiedene Fragen zum Buch beantworten und später mit einer Folie auf einem Overhead-Projektor vorstellen. Und gerade als ich mich wieder vollends als Schüler fühle, sagt die Lehrerin: „Die Hausaufgaben mailt ihr mir bitte zu. Bis Sonntag, 24 Uhr.“ So etwas hat es früher nicht gegeben.
Das war schon ein besonderes Erlebnis. Einen Vormittag lang ging es zurück in die Vergangenheit – als Schüler einer zehnten Klasse. Und was da in den Klassenräumen so abgeht, hätte ich auch nicht gedacht. Gruppenarbeit mit 3D-Computerprogrammen für eigene Architekturskizzen zum Beispiel. Das gab es bei mir leider nie. Dabei ist meine Zehnte erst neun Jahre her. Aber in dieser Zeit hat sich echt viel verändert. Smartboards kannten wir damals auch noch nicht. Und noch etwas ist mir aufgefallen: Bei aller Kritik, die derzeit auf die Schüler einhagelt, sie seien zu faul, nicht ausbildungsreif, hingen den ganzen Tag nur rum, hat sich die 10a des TGG in Leer ganz anders präsentiert. Sie war mit viel Elan und Spaß dabei. Haben vernünftig miteinander geredet und konzentriert gearbeitet. Es herrschte eine tolle Lernatmosphäre. Auch etwas, das es so in meiner zehnten Klasse nicht gab.
Aus der Ostfriesen-Zeitung vom 21. Mai 2010, S. 16 / Bilder: Kiel
2010-05-24, bo