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Von Edgar Behrendt
Tim Wilken (stehend, von links), Nico Woelk, Tina Yzer, Berend Heyken, Tomke Janssen, Jarco Groenhagen und Max Ringel sowie (hockend, von links) Saskia Noack, Alexandra Trey, N. N., Julia Groninga, Frauke Ahrens und Lukas Erchinger befassten sich mit dem Leben von Sicilia de Vries. Im Hintergrund ist deren Foto zu erkennen.
LEER - „Sie war eine von uns“, sagt Berend Heyken. Mit „sie“ meint der angehende Abiturient des Teletta-Groß-Gymnasiums (TGG) Sicilia de Vries, die letzte jüdische Schülerin seiner Schule. Das TGG war damals ein Lyzeum für Mädchen. Heyken und 13 Mitschüler des Leistungskurses Geschichte haben den Lebens- und Leidensweg der Leeranerin, die im Alter von 21 Jahren im März 1943 im Konzentrationslager von Auschwitz ermordet wurde, nachgezeichnet.
In einem rund einstündigen Sprechspiel mit musikalischer Begleitung schlüpften die Schüler während eines Gedenkgottesdienstes der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Leer (ACKL) in der St. Michael-Kirche in verschiedene Rollen – unter anderem in die von Sicilia, ihren Eltern, Angehörigen und Lehrern. „Wer war Sicilia de Vries?“, lautete die Frage, die Tomke Janssen zu Beginn des Sprechspiels stellte. Um sie beantworten zu können, hatten die Zwölftklässler in Büchern und Dokumenten des Schul- und des Stadtarchivs recherchiert. Informativ war auch ein Zeitzeugeninterview aus dem Jahr 1999 mit Hans J. Hoeschen – einem ehemaligen Nachbarn von Sicilia de Vries. Deren Familie lebte damals in der Mühlenstraße – dort, wo sich heute das Modegeschäft „Tally Weijl“ befindet.
In der Rolle des Vaters, Jonas de Vries, beschrieb Nico Woelk im Sprechspiel die damalige Situation: „Ich führte eine Fahrradhandlung und dazu eine Klempnerei“, erzählte er. Zwei Arbeitsstellen seien zwar ungewöhnlich, doch habe er für seine Töchter – neben Sicilia gab es auch noch Elisa, die ebenfalls von den Nazis ermordet wurde – nur das Beste gewollt und sie aufs Gymnasium geschickt. Dafür habe er viel Schulgeld aufbringen müssen.
Das Elternhaus war nur eine Station, um die sich das Sprechspiel drehte. In weiteren Szenen ging es beispielsweise darum, wie Sicilia de Vries die Reichspogromnacht erlebt hat und wie sie mit ihrer Familie ins „Judenhaus“ in der Kampstraße, ein Sammellager, getrieben worden war. Auch ihre Zeit in der Jüdischen Schule wurde aufgearbeitet.
Dorthin war sie mit 14 Jahren vom Lyzeum gewechselt: „Mein Vater hatte verstanden, dass ich es nicht länger ertrug, jeden Tag so gedemütigt zu werden“, beschrieb Tina Yzer in der Rolle der Sicilia de Vries die Gründe. Es sei durch das Rollenspiel möglich gewesen, sich in das Leben von Sicilia de Vries „reinzufühlen“. Eines sei dabei sehr deutlich geworden: „Sie war sehr stark“, erzählt Tina Yzer.
Sicilia de Vries war am 26. Januar 1922 in Leer geboren worden. Sie besuchte vier Jahre lang das Lyzeum für Mädchen (das heutige TGG), bevor sie Ende März 1936 an die damalige jüdische Schule in Leer wechselte. Nach der Reichpogromnacht im November wurde die Schule geschlossen. 1940 wurde die Familie de Vries nach Berlin zwangsumgesiedelt.
Im März 1943 wurden die Eltern und Sicilia de Vries in Auschwitz ermordet.
Aus der Ostfriesen-Zeitung vom 11. Februar 2014, S. 20 / Foto: Behrendt [Eigennamen sind zum Teil gelöscht oder durch N. N. ersetzt.]
2014-02-11, bo