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Der Herr der Fliegen wohnt in Leer

THEMA Jens-Hermann Stukes Leidenschaft gilt Insekten / Seine Präparate messen nur wenige Millimeter

Der Biologielehrer hat durch Zufall ein neues Tier entdeckt. Es handelt sich um eine bisher unbekannte Art.

Von Julia Theermann

Foto von Dr. Jens-Hermann Stuke

Dr. Jens-Hermann Stuke mit einem Teil seiner Sammlung – den Ufer­flie­gen.

LEER/SIMONSWOLDE - Die winzigen Körper der Fliegen in der Sammlung von Dr. Jens-Hermann Stuke sind kaum größer als die Köpfe der Stecknadeln, mit denen sie aufgespießt sind. Die kleinen Kreaturen haben es dem Leeraner angetan – und sie haben ihm in Fachkreisen weltweite Aufmerksamkeit verschafft: Er hat eine Fliege entdeckt, die vor ihm noch kein Wissenschaftler beschrieben hat.

Nun hat er darüber in der Fachzeitschrift „Studia dipterologica“ eine Arbeit veröffentlicht. Seinen Fund haben zwei Fachgutachter bestätigt. Stuke ist offiziell der Entdecker der kleinen Uferfliege namens Polytrichophora indistincta, die er im August 2010 am Sandwater in Simonswolde gefunden hatte.

Wenn Stuke losfährt, um Fliegen zu fangen, dann tut er das mit einem Kescher, einem kleinen mundbetriebenen Staubsauger (einem sogenannten Exhaustor) und einem Mikroskop. „Wenn man an der richtigen Stelle über dem Schlick keschert, sitzen da schnell bis zu 1000 Fliegen drin“, sagt Stuke. Mit dem Exhaustor saugt er dann die Tiere einzeln aus dem Kescher an, damit er sie unter dem Mikroskop bestimmen kann. Seit er Fliegen erforscht, habe er vermutlich schon mehrere Millionen Fliegen gefangen, so Stuke. Gesammelt und präpariert habe er davon aber nur einen Bruchteil.

„Polytrichophora indistincta bedeutet so viel wie ,die vielborstige Ununterscheidbare’“, sagt Stuke. Ihren Gattungsnamen verdankt die Uferfliege den zahlreichen Borsten, die sich in ihrem Gesicht befinden. „Ununterscheidbar“ heißt sie deshalb, weil man sie ausschließlich an einem einzigen Merkmal von anderen Fliegen ihrer Familie unterscheiden kann – ihrem Genital. „Das ist ein wichtiges Merkmal, weil sich verschiedene Arten nicht untereinander paaren können“, so Stuke. „Das ist eine Art von mechanischer Isolation.“

„Es ist faszinierend, etwas zu machen, was sonst keiner macht“
Dr. Jens-Hermann Stuke

Dr. Jens-Hermann Stuke ist Lehrer für Biologie und Erdkunde am Teletta-Groß-Gymnasium (TGG) in Leer. Seinen Doktortitel erwarb der 49-Jährige im Jahr 2000 in Bremen. Im gleichen Jahr begann er auch, am TGG zu unterrichten. Die Fliegenforschung ist sein Hobby. Stuke ist nach eigenen Angaben der einzige Fliegenforscher in Ostfriesland und einer der wenigen Uferfliegenforscher weltweit. „Es ist faszinierend, etwas zu machen, was sonst keiner macht oder kann“, so Stuke. „Da gibt es so viel Neues zu entdecken.“ Aufgrund seines Berufs hat er nicht oft Zeit, nach Fliegen zu suchen, aber „im Sommer habe ich meine Fangausrüstung immer dabei“, sagt Stuke. „Ich habe mir fest vorgenommen, in diesem Jahr wieder öfter loszufahren.“

Dass er die Polytrichophora indistincta überhaupt entdeckt hat, war reiner Zufall. Bei seiner Exkursion im August 2010 war er eigentlich auf der Suche nach einem seltenen Vogel, hatte aber keinen Erfolg. Da es sehr warm war, entschloss er sich, stattdessen Fliegen zu fangen. Statt eines Kleinen Sumpfhuhnes ging ihm eine winzige Fliege ins Netz.

Bis er seinen Fund veröffentlichte, verging jedoch viel Zeit. Erst im Dezember 2016 verfasste er eine Arbeit, in der er das Tier beschrieb. Dazu musste er auch die Genitalstruktur der männlichen Fliegen darstellen. Um die bestimmen zu können, war es jedoch nötig, sie aus dem winzigen Insekt herauszuschneiden. Das Tier ist etwa 2,5 Millimeter groß. Seine Flügel sind mit 2,2 Millimetern fast so lang wie sein gesamter Körper. Das Genital im Hinterleib kann man mit dem bloßen Auge nicht erkennen. Das Organ misst etwa 0,2 Millimeter. Viel Geduld und Fingerspitzengefühl sind nötig, um es herauszuoperieren. Für die Arbeit mit den Tieren benutzt er daher stets ein Mikroskop.

Seit ihrer Entdeckung ist die kleine Uferfliege auch in anderen Teilen Deutschlands nachgewiesen worden. Dennoch wird das Insekt, das Dr. Jens-Hermann Stuke am Ufer des Sandwaters fand, immer das Exemplar bleiben, das die Art definiert.

Die Polytrichophora indistincta

Die von Stuke entdeckte Fliege misst gerade einmal 2,5 Millimeter. Ihre Flügel sind 2,2 Millimeter lang.

Ihr Kopf ist schwarz mit einer orange-braunen Zone rund um die Augen. Sie hat im Vergleich zu anderen Fliegenarten ungewöhnlich viele Borsten im Gesicht.

Der Rückenschild ist fast komplett braun. An den Seiten ist er jedoch grau. Die zwei Flügel der Fliege sind durchsichtig und klar. Ihre sechs Beine sind schwarz mit gelben Ansätzen.

Wovon sich die Fliege ernährt, ist bisher nicht bekannt. Vermutlich frisst sie mikroskopisch kleine Algen und Pilze, die sie im Schlick findet. Beweisen konnte das bisher niemand.

Es wird vermutet, dass die Polytrichophora indistincta eine Lebensdauer von höchstens ein paar Wochen hat, sobald sie geschlüpft ist. Wie und wo genau die Larven der Tiere leben, ist unbekannt.

Die Fliege wurde seit ihrer Entdeckung in Ostfriesland auch in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Bayern nachgewiesen.

Aus der Ostfriesen-Zeitung vom 12. Januar 2017, S. 10 / Foto oben: Theermann, Foto unten: privat

2017-01-27,