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Rede zur Verabschiedung des
Abiturjahrganges 2008

Liebe Goldene Abiturientinnen,
liebe Eltern,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Gäste und Ehrengäste,
last but not least, liebe Abiturientinnen und Abiturienten:

Lassen Sie mich mit einer Reverenz an den Jahrgang beginnen:

Auf der Suche nach den Ursachen für die zuletzt geschilderte Charakterisierung kann man ins Grübeln geraten:
Eine mögliche Erklärung für die fehlende Einsicht ist, dass sich jede nachwachsende Generation gegen Auflagen der sie betreuenden Institutionen wehrt und dies als unwürdig und eingrenzend empfindet.
Sicherlich kann es auch sein, dass sich die Schüler gerne mit den Kolleginnen und Kollegen anlegen, die Reibungsflächen bieten oder mit ihrem Naturell polarisieren.
Es hängt auch davon ab, welche Einstellungen sie bereits in die Schule mitbringen. … es befinden sich einige ehemaligen Schülerinnen und Schüler als Eltern unter uns!
Oder aber sie sind dies bereits Anzeichen des von den Medien diskutierten und in einer großen Boulevardzeitung ausgerufenen ‚Erziehungsnotstands’?
Kai Diekmann, Chefredakteur der Bildzeitung und Bernhard Bueb, pensionierter Schulleiter des Elite Internats Salem, von der Bildzeitung zu ‚Deutschlands strengstem Lehrer’ ernannt, gehen sogar davon aus, dass es zu einem neuen ‚Bildungsnotstand’ gekommen sei, den vor allem die 68er Generation zu verantworten hat.

Lassen sie mich nur wenige Sätze über diese Zeit verlieren, die auch meine Erziehungsprinzipien in Beruf und Familie entscheidend geprägt hat. Den so genannten 68er widmen jetzt, 40 Jahre danach, überregionale Zeitungen viel Aufmerksamkeit, selbst die OZ hat versucht, eine Serie daraus zu machen.
Die Herrn Diekmann, Bueb und andere wie Wulf Schönbohm, Ex-General und brandenburgischer Innenminister, entdecken in den damaligen Veränderungen die Ursachen für den von Ihnen beschworenen heutigen Bildungsnotstand und fordern ein klares Umsteuern.
Als Zeitzeuge kann ich nur sagen, dass die damaligen Veränderungen dringend nötig waren. Schönbohm beklagt selbst den von ihm so genannten Mief der 1960er Jahre. Ich habe ihn als Ergebnis der engstirnigen, emotionsfeindlichen Nachkriegs-Zeit empfunden, in der die wirtschaftliche Erfolge mit überkommenen Normen und Konventionen eng verbunden waren. Es wurde dringend Zeit, dass die damals vorherrschenden Erziehungsprinzipien verändert wurden. Es ist aber eine Vereinfachung von Bueb, Diekmann und Schönbohm, die Gegenbewegung aus den 60er Jahren pauschal als gescheiterte Anti-Autoritäre Erziehung zu bezeichnen, die die deutsche Bildungslandschaft infizierte hat und zu den heutigen Zuständen geführt hat.
Dies ist weder der Ort noch der richtige Zeitpunkt ausführlicher darauf einzugehen. Nur soviel: Die aus den 60er Jahren resultierenden positiven Veränderungen im zwischenmenschlichen Zusammenleben begegnen mir jeden Morgen beim Betreten dieser Schule, die ja glücklicherweise seit den frühen 70er Jahren ein koedukatives Gymnasium ist. In und vor dem neuen Foyer schließen sich diverse Pärchen glücklich in die Arme, um noch vor dem stressigen Unterrichtsstunden längst überfällige Streicheleinheiten auszutauschen.
Nett …, aber undenkbar zur Zeit unserer Goldenen Abiturienntinnen aus dem Jahre 1958 (wir kennen all die alten Geschichten, wie sich die Schüler des Gymnasiums und des Lyzeums versuchten, näher zu kommen), derartige Gefühlsbezeugungen waren auch in meiner Schulzeit bis zum Abitur im Jahre 1965 tabu, auch noch riskant im Jahre 1973, als ich an einem Nachmittag die damalige Teletta-Groß-Schule mit der gestrengen Frau Direktorin Meyer an der Spitze zum ersten Mal betrat. Eher informell gekleidet, in Jeans, mit einem deutlich längerem Bart, längeren Haaren, und mit meiner 4jährigen Tochter an der Hand.

… bei aller Toleranz gegenüber der jungen Menschen im Foyer, ein abschließender Blick auf die Diskussionen mit den Rauchern, Mehltäufern, Handybenutzer.
Wenn wir auf die Einhaltung der Schulordnung pochen, sind das nicht die Verhaltensweisen, zu denen uns Bueb als Erzieher in seinem Buch aufruft, wenn er sagt ,… Mut zur Erziehung heißt vor allem Mut zur Disziplin‘ oder an anderer Stelle behauptet ,… Jugendliche sehnen sich nach Autorität‘. Diese Forderungen, die er mit wenigen praktischen Beispielen aus Salem untermauert, sind mir aber zu kurz gegriffen. Natürlich hat uns nie der Mut zur Erziehung gefehlt, aber gibt es nicht plausiblere Erklärungen dafür, wieder deutlichere Strukturen vorzugeben, als Fallbeispiele aus einem Internat vorzulegen?
Mich haben die Erklärungen des Hannoveraner Erziehungswissenschaftlers Thomas Ziehe überzeugt. Er leitet aus den Veränderungen der 60er Jahre ganz konkrete Verhaltensmuster der heutigen Jugendlichen ab und weist klare Wege auf, damit umzugehen. Knapp zusammengefasst, Ziehe sieht durch die deutlichen Veränderung der Formen des Zusammenlebens seit dieser Zeit, dem Abbau der alten Hierarchien und Traditionen erhebliche Auswirkungen auf die Jugendlichen. Bei den Jugendlichen von heute haben sich der Wissenserwerb, die sozialen Verhaltensformen und die Motivlage total verändert. Und auch dieses nur verkürzt wiedergegeben: auch die Schule hat sich erheblich verändert und sich dieser Entwicklung angepasst, sie ist informeller geworden und bietet den Schülerinnen nach Ziehe, kein ,Geländer‘ mehr, an dem diese sich festhalten können, die Schüler schaffen sich stattdessen ihre Eigenwelten, in denen die über die Medien verbreitete Pop-Kultur eine große Rolle spielt.
Auf die Umgangsformen in der Schule bezogen, ist es nach Ziehe dringend geboten, die Informalität zu beenden und wieder stärker auf Regeln, Vereinbarungen und Rituale zu setzen, um den Jugendlichen das sprichwörtliche ,Geländer‘ anzubieten.

Ich hoffe damit meinen Diskussionspartnern auf dem Gaswerkstraßen-Rondell und dem Parkplatz an der Heisfelder Straße nachträglich überzeugende Argumente für mein Handeln geliefert zu haben.

Trotz einiger nachdenklicher Momente, hat mir in der Summe die Zeit mit Euch viel Spaß gemacht.
Im Namen des Kollegiums des Teletta-Groß-Gymnasiums möchte ich Euch und Euern Eltern noch einmal ganz herzlich zum bestandenen Abitur gratulieren und die Hoffnung zum Ausdruck bringen, dass Euch die Zeit zusammen mit uns Lehrerinnen und Lehrern an dieser Schule gut auf die vor Euch liegende Zukunft vorbereitet hat.

Macht’s gut!

Vielen Dank

Jörg Kenter

2008-07-02,