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Zusammenhalt der Schulklassen in einer kümmerlichen Zeit: Abitur vor 50 Jahren in Leer. Leer. Die Käse- und Schinkenbrote auf dem Frühstückstisch im Altstadt-Café werden trocken, der Tee kalt. Vorrangig ist an diesem Sonnabendmorgen für eine lebhafte Fünfer-Herrenrunde das Austauschen von Erinnerungen an die gemeinsam verbrachte Schulzeit. 1951 haben die Männer ihr Abitur an der Oberschule für Jungen in Leer abgelegt, dem heutigen Ubbo-Emmius-Gymnasium. „Weißt Du noch, wie Du in Latein ins Schwitzen geraten bist?“ – „Warum? Ich hatte doch Enno, von dem ich abschreiben konnte.“ Scherze kusieren nur am Anfang. Schnell wird das Gespräch tiefgründig. Etwas von einer verschworenen Gemeinschaft klingt aus den Reden, das Empfinden starken Zusammenhalts, der nichts gemein hat mit dem heutigen Kurssystem und Einzelkämpfertum. Stattdessen eine Klasse, zusammengehalten durch das Bewusstsein der Not, das Erleben von Krieg und Vertreibung. In jeder Klasse waren Flüchtlingskinder, die irgendwo ein provisorisches Quartier gefunden hatten. Wie Hans-Georg Zimmermann, der mit Mutter und Bruder bei einer Professorenwitwe an der Bremer Straße wohnte.
Ganz zentral war, so empfinden es alle, die Spaltung der Schulzeit in zwei Phasen. Vor 1945 und danach. Ideologisch vermittelte Ideale waren zertrümmert, vorsichtig wagte man einen Neubeginn, in einer, wie Abi-Jubilar Günter Prahm konstatiert, unvergleichlich armen Zeit. Selbst Fahrräder waren Mangelware. Manch einer musste einen mehrstündigen Fußmarsch bewältigen, um zur Schule zu gelangen. Improvisieren war das Gebot der Stunde. Schulhefte etwa bestanden aus einer gefalteten Pappe, zwischen der notdürftig ein paar Blätter befestigt waren. Ulfert Hafermann hat solch ein Exemplar aufbewahrt und mitgebracht. Alle bestaunen das Relikt aus gemeinsamer Vergangenheit.
Wie eine Befreiung wurden Abwechslungen empfunden: die Klassenfahrt im April 1948 nach Tecklenburg, später nach Spiekeroog. Militärzelte dienten als Unterkunft.
Über Pauker wird an diesem Morgen nicht geflucht, sondern höchst respektvoll gesprochen. Charismatische Persönlichkeiten müssen das gewesen sein: Der Klassenlehrer, Studienrat Elle, der engagierte Musiklehrer Schultz oder Direktor Dr. Aulbert, dessen Gerechtigkeitssinn ebenso legendär war wie seine Menschlichkeit. Oder Dr. Würtz, der sein weiches Herz hinter markigen Sprüchen verbarg. „Worte sind so billig wie Flöhe beim Hund“, pflegte er zu sagen.
Über dem Plaudern vergißt das Quintett alles. Fast alles, denn dass sie in der Aula des Ubbo-Emmius-Gymnasiums sitzen wollen, daran entsinnt sich Ulfert Hafermann als Organisator des Treffens rechtzeitig. Auch Tiberius Wiemann und Georg Sparenborg mahnen zum Aufbruch. Ihr goldenes Abitur feiern 27 Ehemalige gemeinsam mit den jetzigen Abiturienten. Auch am Teletta-Groß-Gymnasium feiern die Abiturientinnen von vor 50 Jahren gemeinsam mit dem aktuellen Abi-Jahrgang.
Die fidelen älteren Herren erinnen sich: Wie sie geschwitzt hatten bei der schriftlichen Abi-Prüfung. „Geschichte und Entwicklung der Gewerkschaftsbewegung und ihre Bedeutung für heute“ :lautete ein Thema. Hans-Georg Zimmermann weiß es wie heute. Es spiegelte den Geist der Zeit wider. Zimmermann entschied sich für das zweite Thema, bei dem er über die Trägheit des Herzens philosophieren konnte.
1951 – Studiendirektor Dr. Harald Schröter erinnert später in seiner Rede zum Abitur daran, was in diesem Jahr passierte: Die Nation regte sich über die halbnackte Knef in dem Film „Die Sünderin“ auf. England und Österreich beendeten offiziell den Kriegszustand mit Deutschland, und Metallarbeiter setzten nach vier Wochen Streik durch, dass ihr Lohn um 6 1/2 Pfennig auf 1,34 Mark erhöht wird.
Was empfand man in jenen Jahren? Ilse Möller findet für die Zeit zwischen 1938 und 1951 in der Aula des Teletta-Groß-Gymnasiums eine Fülle von Attributen: Grau, kalt, kümmerlich und trostlos „Bis die Welt wieder in Ordnung war, vergingen Jahre.“ Möller sprach im Namen der 14 Abi-Jubilarinnen, die vom TGG zur Entlassungsfeier eingeladen worden waren. 1951 hatte sie an dieser Stelle ebenfalls die Rede gehalten.
Aus der Ostfriesen-Zeitung vom 25. Juni 2001
2005-11-09, sh